Wenn positive Bindungserfahrungen fehlen, erlebt ein Kind keine Sicherheit und kann seine innere Erregung nicht reduzieren lernen. Dann bleiben die für die Stressregulation zuständigen Systeme im Gehirn unzureichend vernetzt.
Sichere Bindungserfahrungen bilden die Voraussetzung für eine effiziente Vernetzung des Gehirns und damit die gesamte kognitive Entwicklung. Ohne Sicherheit erreicht das Nervensystem nicht den inneren entspannten Zustand, der zur Exploration und zum Lernen nötig ist. Die biologische Funktion des Bindungssystems ist das Herstellen von Sicherheit als Voraussetzung für kindliche Neugier und Entdeckerlust. Schwierige Geburtserfahrungen, Behinderungen des Erstkontakts, Angst, Stress, Verunsicherung, fehlende Anregung oder Vernachlässigung führen zu innerer Erregung im Gehirn.
Kinder konstruieren ihre Bindungs- und Beziehungserwartungen als Arbeitsmodell nach ihren Vorerfahrungen innerhalb ihrer Familie. Sie entwickeln eine mentale Repräsentation von Bindung, sogenannte „innere Arbeitsmodelle“, die sowohl affektive als auch kognitive Komponenten beinhalten. Dabei entstehen generalisierte unbewusste Vorstellungen über die Verlässlichkeit der Bezugsperson und Überzeugungen von der Vertrauens- und Liebenswürdigkeit der eigenen Person sowie von der Fähigkeit, ob und wie das Verhalten der Bindungsperson zu beeinflussen.
Das sind Regelsysteme für die Verhaltensausrichtung und die Einschätzung von Erfahrungen, die meist lebenslang beibehalten werden. Die Erwartungen, die Toleranzschwelle und das Verständnis von Mitmenschen in Bezug auf Verhaltensweisen von Kindern unterliegen einem tiefgreifenden Wandel. Es wird immer mehr stillsitzen erwartet und gefordert, es gibt weniger freier Bewegungsraum sowie mehr Medien. Anforderungen an Kinder werden immer komplexer, oft herrschen hohe Leistungserwartungen vor, verbunden mit wenig Zeit, wenig Gesprächen, weniger Geschwistern.
Die kindliche Entwicklung hängt stark von der Übereinstimmung zwischen Kind und Umwelt ab. Wenn seine individuellen Temperamentsmerkmale den Anforderungen der sozialen Umwelt entsprechen, ist eine positive Interaktion zu erwarten. Besteht dagegen keine Übereinstimmung zwischen dem Temperament des Kindes und den Forderungen aus der Umwelt, ist als negative Folge eine gestörte Entwicklung zu erwarten. Die meisten Eltern, deren Kinder Verhaltensstörungen zeigen, haben im Grunde genommen zwar eine wohlwollende Einstellung gegenüber ihren Kindern, stellen jedoch Anforderungen, die den Fähigkeiten und Regulationsmöglichkeiten des einzelnen Kindes nicht entsprechen. Ebenso verhält es sich bei Problemen in der Schule, je nach Bindungserfahrungen des Kindes.
Aufgrund der daraus entstehenden Spannung wird die Erziehung des Kindes als schwierig wahrgenommen. Bei Verhaltensstörungen liegt das Problem in einer Belastung, die durch einem ausgeprägten Mangel an Passung zwischen den Umweltanforderungen und den Fähigkeiten des Kindes auf einem bestimmten Entwicklungsniveau begründet liegt. Ein Kind ist dann einem großen Stresserleben ausgesetzt, wenn die genannten Faktoren nicht zusammenpassen. Das kann zu einer ungesunden Persönlichkeitsentwicklung oder sogar zu Persönlichkeitsstörungen führen.
Werden an das Kind immer wieder Anforderungen gestellt, die es nicht erfüllen kann, wird es immer wieder Scheitern und Gefühle der Unzulänglichkeit erleben, was den Aufbau eines positiven Selbstbildes verhindert. Das Kind greift dann schnell zu Abwehrmechanismen, die auf die Vermeidung von Umwelt-anforderungen anstatt auf die Bewältigung derselben ausgerichtet sind. Für diese Kinder sind Toleranz, Beachtung individueller Besonderheiten und passende Anforderungen Elemente adäquaten pädagogischen Handelns.
Besonders ein niedriges Reizniveau, hohe Reaktionsintensität und geringe Anpassungsfähigkeit sind Merkmale, die mit Verhaltensstörungen in engem Zusammenhang stehen. Kinder mit hoher Aktivität und niedriger Aufmerksamkeitsspanne sind dabei besonders auffallend. Dennoch sind Kinder mit zunehmender kognitiver Entwicklung immer mehr dazu fähig, sich selbst zu reflektieren, wodurch früher entstandene Arbeitsmodelle bewusst verändert werden können.
Daher sind die emotionalen Qualitäten für Erzieher als Bindungspersonen von absolut entscheidender Bedeutung für das Gelingen von Erziehung als Lösungssuche des Kindes. Dazu zählen u.a.: Respekt, Achtung, Fürsorge, Responsivität, Hilfe bei der Spannungsregulation für die Kinder. Das erfordert von Pädagogen, Bindungsfeinfühligkeit zu entwickeln, link zu Responsivität.
Diese Themen werden ausführlich in der WB „Wie Lernen gelingt, Teil 1-4“ behandelt, die ich seit 2011
für Lehrer, Erzieher, Schulsozialarbeiter, KitTa-Leitung etc. durchführe.