Ein wenig Philosophie...4 - Über Biologie, Konstruktivismus und Ethik
Es gibt nicht nur den einen Erkenntnisweg, den unsere Philosophie bisher vertreten hat. Aus den bisherigen Folgen wird deutlich, dass Erkenntnis ebenso eine Begriffskonstrukt ist, der nur durch menschlichen Austausch zur Realität wurde, wie jeder andere Begriff auch. „Der Beobachter, ein Lebewesen-in-der-Sprache – wird in den Mittelpunkt jeden Verstehens und jeder Realitätsauffassung gestellt. Realität ergibt sich aus dem erkennenden Tun des Beobachters, der Unterscheidungen trifft und somit den Einheiten seiner Beobachtung Existenz verleiht. Realität erweist sich als ein Konzept, steht für subjektgebundene Konstrukte, die, einmal mit anderen Menschen abgestimmt, den Charakter des Realen, das heißt von uns unabhängig Existierenden, bekommen.“ (Maturana).
Philosophie und Erkenntnis werden damit zu Begriffen, die wir in unserer kulturellen Tradition für uns geschaffen haben und gemeinsam benutzen. Denktraditionen sind nicht die Realität, sondern kulturelle soziale Kopplungen in der Sprache. „Wir Menschen existieren als Menschen im Netzwerk von Strukturkopplungen, das wir dauernd durch die fortgesetzte sprachliche Tropholaxis unseres Verhaltens weben. Sprache wurde niemals von jemandem erfunden, nur um damit die äußere Welt abzubilden. Deshalb kann sie nicht als Mittel benutzt werden, mit dem sich eine solche Welt offenbar machen lässt.“ (Maturana)
Unsere Art, die Welt zu erkennen, ist nur eine Möglichkeit von mehreren, aber sie hat unsere Kultur bestimmt und tut dies immer noch. Unsere Erziehung ist ein kulturelles Training, welches logische Kulturtechniken entwickelt, ansonsten aber die Menschen sich selbst körperlich entfremdet. Insbesondere die kinästhetische Eigenwahrnehmung ist nahezu verkümmert, mit entsprechenden katastrophalen gesundheitlichen Folgen. Der amerikanische Psychologe und Philosoph Thomas Hanna prägte dafür den Begriff sensorische Amnesie, die bei den meisten Mitteleuropäern und Amerikanern aufgrund ihrer kulturellen Tradition anzutreffen ist.
Philosophietraditionen vor Platon waren nicht dualistisch, sie kannten keine trennenden Begriffe wie Körper und Geist. Die Körper-Geist-Trennung ist ebenso eine menschliche Denkkonstruktion. Sie ist eine kulturelle Tradition zur Verständigung, keine Realität, hat sich aber verselbständigt, als sei es die Realität. „Der ganze Satz von Regelmäßigkeiten, die zur Kopplung einer sozialen Gruppe gehören, stellt ihre biologische und kulturelle Tradition dar. Eine Tradition basiert auf allen Verhaltensweisen, die in der Geschichte eines sozialen Systems selbstverständlich, regelmäßig und annehmbar geworden sind. Menschliches Erkennen als wirksames handeln gehört zur biologischen Bereich, wird aber in einer kulturellen Tradition gelebt.“(Maturana)
Durch eine Überwindung der Körper-Geist-Trennung und einem Einbeziehen des Körpers mit Empfindungen, Gefühlen in Erkennen und Handeln ergeben sich neue Möglichkeiten zu sinnhafteren Entscheidungen im Einklang mit sich selbst, Anderen und der Natur. Das eröffnet die Möglichkeit, mit den verschiedenen Weisen des Erkennens nebeneinander leben, um bestmögliches Menschsein zu erreichen. „Die Erkenntnis der Erkenntnis verpflichtet, einzusehen, dass unsere Gewissheiten keine Beweise der Wahrheit sind, dass die Welt, die jedermann sieht, nicht die Welt ist, sondern eine, die wir mit anderen gemeinsam hervorbringen.“ (Maturana)
Das heißt, jegliche Annahme eines Rechts, über andere zu herrschen, eine Lebensweise für besser oder angemessener zu halten wird ad absurdum geführt, für den großen politischen Bereich ebenso wie für das Miteinander einzelner Menschen und Familien. „Wir haben nur die Welt, die wir mit andern hervorbringen. Jede Handlung in der Sprache bringt eine Welt hervor, die mit anderen im Vollzug der Koexistenz geschaffen wird und das hervorbringt, was das Menschliche ist. So hat alles menschliche Tun eine Bedeutung, denn es ist ein Tun, das dazu beiträgt, die menschliche Welt zu erzeugen. Diese Verknüpfung der Menschen miteinander ist letztendlich die Grundlage aller Ethik als einer Reflexion über die Berechtigung der Anwesenheit der Anderen.“ (Maturana)
Diese Überlegungen führen zu einer Ethik, die darauf gründet, dass wir nur in der Welt existieren, die wir uns mit anderen zusammen schaffen und die auf uns zurückwirkt, also in einer sozialen Welt, in der wir auf den anderen angewiesen sind und die daher das Akzeptieren des Anderen voraussetzt .
Aufgabe ist es also, die verloren gegangene Einheit von Denken, Fühlen und Handeln, von Rationalität und Emotionalität wieder herzustellen und damit eine neue kulturelle Tradition zu schaffen, die Informationen aus allen Sinneskanälen, von Gefühlen und deren Bewertungen zu einer ganzkörperlichen somatopsychischen Erkenntnis als Grundlage sinnvoller Entscheidungen einbezieht. Diese Überlegungen nehmen Einfluss auf andere Wissenschaftsbereiche wie Sozial- und Sprachwissenschaften, angewandte Mathematik und Psychotherapie, dabei insbesondere auf die Familientherapie und systemische Therapie: “…bieten …dem Therapeuten, der es aufgegeben hat, Pathologisches im Inneren einer Person zu suchen und sich statt dessen mit sozialen Systemen befasst, einen umgreifenden und begründeten Rahmen für seine Arbeit mit Patienten und Familien“. (Maturana)
Nötig ist daher der Einbezug somatopsychischer Erkenntnisweisen und begleitender Emotionen in Beratungs- und Therapieprozesse, wie ich es in einer Arbeit konsequent tue. Das führt die Klienten viel direkter zu wichtigen körperlichen und emotionalen motivationalen Ressourcen ihrer Entscheidungsfindung, als Worte allein dies können.
Kommentar schreiben